2054: Jahresrückblick über 30 Jahre

31. Dez. 2024

Rückblick aus der Zukunft – ein Gedankenexperiment von Eberhard Prunzel-Ulrich, Nov. 2054 – Zuversichtlich, inspirierend und ganz besonders lesenswert!

Liebe Zuhörer,

Ich freue mich, dass wir heute im November 2054 noch in so einem großen Kreis zusammentreffen

Um noch einmal zu erinnern, welche Umwälzungen und politischen Kipppunkte wir erlebt haben, hier eine kleine Rückschau auf die letzten 30 Jahre.

Eigentlich fing alles ganz harmlos an.  2025 wurde das Jubiläum 500 Jahre Bauernkriege gefeiert. Ein Teil von nach Rechts abdriftenden Bauernbewegungen nahm das zum Anlass, Protest zu feiern und wochenlang mit ihren Traktoren Knotenpunkte zu blockieren. Allerdings war die Bevölkerung zunehmend genervt und die Stimmung kippte.

Auf dem Kirchentag in Hannover fanden sich dann Gruppen der kirchlichen Jugendbewegung zusammen. Als Gegenposition zu den Traktorfahrern betonten sie die kulturelle Leistung der Bauernerhebungen vor 500 Jahren und verwiesen auf die Memminger Erklärung, die historisch als Vorläufer der Erklärung der Menschenrechte gilt. Eine aus dem katholischen Bereich kommende militante Gruppe „Maria 3.0“ fand ihre Ergänzung durch eine ebenfalls in Hannover gegründete Gruppe „Josef 3.0“, die dokumentieren wollte, dass in vielen Familien schon längst eine gleichwertige Stellung von Mann und Frau gelebt würde, dies aber von den Entscheidungsträgern in Kirche und Staat nicht nachvollzogen würde.

Um ihren militanten Ansatz lokal umzusetzen, kauften diese Bewegungen leerstehende Kirchen auf und stellten sie der Dorfbevölkerung zur Verfügung. Zur Finanzierung der Pfarrstellen behielten sie die Kirchensteuer ein und wählten auch ihre Pfarrer selbst (500 Jahre nach Memmingen!). Dies brachte die beiden Kirchen in noch größere finanzielle Schwierigkeiten und löste einen Schneeballeffekt aus.

Durch ihre Arbeit vor Ort bekamen die Aktivisten schnell Kontakt mit regionalen Anbietern von Lebensmitteln, die ständig unter Preisdruck gerieten. Zusammen entwickelten sie Forderungen, um die Marktwirtschaft viel stärker als bisher dem Gemeinwohl zu verpflichten und die Entkoppelung von Produktion und Beseitigung der Schäden dieser Produktion aufzuheben. Gleichzeitig forderten sie, bezugnehmend auf christliche Grundsätze und allgemeines Menschenrecht, dass zukünftige Wirtschaftsformen die Verpflichtung hätten, weltweit die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, bevor es zu weiterer Kapitalakkumulation kommen dürfe

Die Diskussion in Zivil- und Kirchenkreisen fand weltweite Beachtung, als sie sich an den Vatikan wandten und auf die 1. Enzyklika „laudato si“ verwiesen. Der schon kränkelnde Papst schwieg dazu und meinte nur, dass sein Nachfolger dieses Problem lösen müsse. Dass der nachfolgende Papst ein indischer Katholik mit familiären Wurzeln in Bhutan (Bruttoglücksindex) war, ist eine Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll, sie führte aber zu einem weiteren Kipppunkt der Geschichte.

2035 wurde dann die Welthandelsorganisation neu gegründet. Sie war vorher schon lange nicht mehr handlungsfähig gewesen aber unter dem Druck der Schwellenländer und vor allem auch der afrikanischen und südamerikanischen Länder mit großem Einfluss christlicher Gemeinden kam es zu einer neuen Ausrichtung. In die Bewertung von Handelspraktiken sollten alle 17 Nachhaltigkeitskriterien der UN eingehen. Dies war möglich, da mit Hilfe der KI sich leicht Indizes für alle Kriterien errechnen ließen. Erreichten Länder aufgrund umweltschädlicher Produktion oder fehlender Verteilungsstrukturen den Mindestindex nicht, wurden sie sanktioniert. Die weitergehenden Grundsatzentscheidungen der „WTO 3.0“ waren bahnbrechend. So wurde Spekulation mit Lebensmitteln mit Ausnahme von Warentermingeschäften weltweit verboten. Ebenso die Patentierung von Nahrungsmitteln. Letztere Entscheidung war sehr umstritten, kam aber zu Stande, nachdem China erklärte, „Patentschutz wäre für die Volksrepublik noch nie ein Thema gewesen“.

Mitten in die Diskussionen über Regionalisierung von Konzernstrukturen und das Tauziehen der Lobbys im Hintergrund platzte 2039 die Meldung über die Insolvenz des Bayer-Konzerns. Dies war für unmöglich gehalten worden. Allerdings hatte nicht nur die fehlende Patentierung und die Stärkung des weltweiten Züchterprivilegs den Konzern unter Druck gesetzt, sondern nachdem immer mehr Rückstände der Pestizide und deren Mischungen im Grundwasser auftauchten, schwoll die Klagewelle weltweit an. Befeuert wurde sie durch den Nachweis, dass einige dieser chemischen Stoffe für Brust- und Prostatakrebs verantwortlich seien. Journalisten konnten zudem nachweisen, dass wesentliche Studien dazu dem Management seit 6 Jahren bekannt waren, aber unter Verschluss gehalten wurden. Um nicht mit ihrem Privatvermögen zur Rechenschaft gezogen zu werden, entschloss sich das Management zu der Flucht nach vorn und der Verkündung der Insolvenz des Mutterkonzerns.

Die Finanzmärkte reagierten gelassen, war die Aktie auch schon vorher kaum noch etwas wert gewesen! Aber die Zerschlagung des Konzerns führte zu unerwarteten Ergebnissen. Durch Ausgründungen und Start-Ups der ehemaligen Mitarbeiter entstand eine neue Dynamik. Die rückwärtsgewandte Ausrichtung auf chemischen Pflanzenschutz wurde verlassen, Methoden des Öko-Landbaus mit KI kombiniert. Neue Züchtungsverfahren führten innerhalb kürzester Zeit zu trocken- und schädlingsresistenten Sorten, indem die Forscher in die Endemiegebiete fuhren und schon resistente Pflanzen suchten. Mit Genome Editing beschleunigten sie die Diagnose, ob sie bei den herkömmlichen Züchtungsmethoden mit diesem Zuchtmaterial erfolgreich waren. Künstliche gentechnische Veränderungen wurden jedoch als viel zu ungenau verworfen. Zudem hatte die CrisprCas Technologie nach wenigen Jahrzehnten der Züchtung so viele Nicht-Ziel Effekte gezeigt, dass sie nach Entschädigungsklagen in den USA als wirtschaftliche Hochrisikotechnologie galt.

Die Züchtung erfolgreicher Sorten wurde aus dem Zukunftsfonds der Vereinten Nationen finanziert, in den unter anderem die Bill-Gates-Stiftung und Elon-Musk-Stiftung ihr Kapital eingebracht hatten. Sie verstanden das als Akt der Wiedergutmachung einer jahrzehntelang nicht gemeinwohlorientierten Strategie. Im Jahr 2044 konnten die Vereinten Nationen durch diese und andere Entwicklungen die Verringerung der Zahl der Hungernden weltweit um 60 % bekannt geben.

Allerdings bereitete uns seit Ende der 20er Jahre der Klimawandel erhebliche Probleme. Trockenzeiten und nachfolgende Starkregenereignisse besonders in den ariden Gebieten aber auch in Europa, USA und China führten zu tausenden Toten und Vernichtung landwirtschaftlich genutzter Fläche. Um diese Entwicklung zu bekämpfen, wurden in allen Bach- und Flusssystemen Wasser-Rückhaltebecken gebaut. Ganze Flusssysteme wurden so umgebaut und durch den Überstau zuvor versalzener Böden z. B. in Pakistan auch verlorene Flächen wieder zurückgewonnen.

Seit 2048 ist der gesamte nordafrikanische Raum autark und kein Importgebiet für Getreide mehr. Anbau von trockenresistenter Hirse, Mais ausschließlich als Nahrungsmittel sowie Soja und Bohnen decken die Versorgung aller Bewohner. Der Anbau in regionalen Kreisläufen wurde von vielen zurückgekehrten Flüchtlingen organisiert, die bei ihrem Aufenthalt in Europa die Entwicklung der Regionalbewegung mitverfolgt hatten. Sie wurden nach spezieller Ausbildung mit einer Finanzierung für 10 Jahre aus dem „Fond der EU für Rückkehrer“ abgesichert. Futtermittel dürfen nur exportiert werden, wenn die Vollversorgung der Bevölkerung gesichert ist. Energieproduktion mit Wind und Photovoltaik bringt genug Geld für eine weitere eigenständige Entwicklung in die lokalen Netzwerke.

Fortsetzung folgt.  

Eberhard Prunzel-Ulrich, Nov. 2054

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